Nachhaltigkeitsprojekte stehen schon länger auf der Agenda deutscher und europäischer Häfen. Einer der Gründe: Bei den permanent stattfindenden Be- und Entladevorgängen der Fracht- und Containerschiffe wird viel CO2 in die Umwelt abgegeben. Diesen Prozess möglichst klimaneutral zu gestalten, haben sich viele Hafenbetreiber zum Ziel gesetzt. Helfen können dabei digitale Zwillinge – beispielsweise von Containerbrücken. Ein Leuchtturmprojekt dabei: Die Erstellung des Digitalen Zwillings einer Containerbrücke aus einem norddeutschen Hafen.
Zwei altgediente Containerbrücken eines norddeutschen Hafens wurden in Deutschland abgebaut und über die Ostsee nach Estland verschifft. Zuvor waren die beiden Brücken gut 15 Jahre im Ursprungshafen für das Be- und Entladen von Schiffen mit bis zu 14.000 Containern im Einsatz. Als die Nutzung nicht mehr lukrativ war und man Platz für neue Container-Terminals schaffen wollte, entschied man sich für eine Verschiffung der 1.400 Tonnen schweren Brücken an einen estländischen Partnerhafen - ein logistisch anspruchsvolles Unterfangen.
Aus der Idee, die Containerbrücken einer weiteren Nutzung zuzuführen, entwickelten sich weitere Projekte, um Prozesse, Kosten und den Energieverbrauch zu optimieren. Dabei spielten vor allem die Digitalisierung und Automatisierung der verschiedenen Hard- und Software-Komponenten, die für den Betrieb einer Brücke benötigt werden, eine zentrale Rolle – schließlich waren die Brücken bereits über eineinhalb Jahrzehnte im Einsatz und die Technik nicht mehr auf dem neuesten Stand.
Also entschied man sich, die vorhandenen Hardware-Komponenten mit moderner Sensortechnik nachzurüsten. Damit wollte man die verschiedenen IT-Ebenen der Digitalisierung, Automatisierung und Integration berücksichtigen. Es ging darum, eine offene und flexible Architektur zu etablieren, die jederzeit auf die Anforderungen der Zukunft angepasst werden kann.
Da man nicht zeitgleich alle Bereiche der Brücke modernisieren konnte, fokussierte man sich auf den Umweltschutz und die Digitalisierung des Energiemanagements. Zum Hintergrund: Beim Hochheben eines Containers wird viel Energie benötigt, bei der horizontalen Bewegung vom Schiff an Land ist der Energieverbrauch geringer und beim Abladevorgang wird sogar Energie erzeugt. Der Bedarf an Strom sowie die Stromerzeugung sollten in diesem Zusammenhang besser in den Hafenbetrieb integriert werden. Eine Idee war, die in der Regel elektronisch betriebenen fahrerlosen Lastfahrzeuge, die bei der Landverladung zum Einsatz kommen, mit der beim Verladevorgang gewonnenen Energie zu versorgen. Der Vorteil bei dieser Art von Nutzung liegt darin, dass das operative Lademanagement dieser Fahrzeuge bereits einem hohen Digitalisierungsgrad entspricht, so dass leicht nachzuvollziehen ist, wo Strom benötigt wird.
Die zentrale Herausforderung: Die Sichtbarkeit der Daten. Bei den in Estland wieder in Betrieb genommenen Brücken entschied man sich für die Anbringung zusätzlicher Strommesssensoren, sogenannte Power Meter, um auf diese Art und Weise Daten über den Strombedarf sowie die Energieproduktion zu erhalten. Um die so generierten Daten zielführend auswerten und nutzen zu können, wollte man die technischen Möglichkeiten der Digital-Twin-Technologie nutzen, unter der man im Hafenumfeld das digitale Abbild von Sensordaten versteht.
Also machte man sich auf die Suche nach einer digitalen Datendrehscheibe. Diese sollte nicht nur für den Datenaustausch sorgen, sondern auch mit Hilfe der Daten eine Lösung für die Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) mit sich bringen. Mit dem Business Integration Cluster edbic von compacer werden nun nicht nur die bisher verborgenen Daten verfügbar und sichtbar gemacht, sondern auch die Daten der neuen Sensoren abgebildet. Die Informationen werden gesammelt, konsolidiert und in einer einheitlichen Struktur, dem sogenannten Metaformat bereitgestellt, das sich ohne Probleme in die vorhandene Softwarelandschaft integrieren lässt.
Im Ergebnis bietet das Sammelsurium aus „alten Daten“ und den neuen Energiesensoren ein konkretes und detailliertes Abbild des Energiebedarfs sowie der erzeugten Energie der beiden Containerbrücken – unabdingbare Voraussetzung für ein effizientes Energiemanagement. Wurde in der Vergangenheit die beim Abladen erzeugte Energie noch als Wärme in die Luft abgegeben, wird diese heute gespeichert und einer Nutzung zugeführt. Eine KI-Software liefert zusätzlich eine Vorhersage des Verbrauchs. In der Kombination mit Daten aus anderen Gewerken, Anwendungen und Clouddiensten ist diese Prognosesoftware in der Lage, den Stromverlauf derzeit eine Woche im Voraus mit einer Genauigkeit zwischen 96 bis 98 Prozent vorherzusagen.
Weitere zur Hafengruppe gehörende europäische Häfen möchten diesem Beispiel des baltischen Hafens folgen. Mit den Learnings aus Estland möchte man auch in den dortigen Containerterminals das Energiemanagement verbessern. Hinzu kommen Überlegungen, das Prinzip des Digitalen Zwillings auf andere Bereiche auszuweiten – etwa auf die Seillängenüberwachung. Damit könnten auf lange Sicht Stillstandzeiten und Ausfälle von Containerbrücken im Vorfeld erkannt und deshalb vermieden werden. Das wiederum versetzt Häfen in die Lage, ressourcenschonender zu agieren und horizontale sowie vertikale Prozesse miteinander zu verbinden und für modernere, „grüne“ Häfen zu sorgen.